Inklusiver Anspruch rheinland-pfälzischer Kindertageseinrichtungen

Seit Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung im März 2009 wurde Inklusion als Leitidee im deutschen Bildungssystem verankert. Alle Kinder sollen gemeinsam leben, spielen und lernen können, unabhängig von individuellen Fähigkeiten und sozialer oder kultureller Zugehörigkeit. Vielfalt muss Wertschätzung erfahren und nicht zu Hierarchien, Diskriminierung oder Ausschluss führen. Im Aktionsplan der Landesregierung  zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird die Vision eines lebenslangen gemeinsamen Lernens als Ziel formuliert. 

Dies findet sich auch im Landesgesetz über die Weiterentwicklung der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (KiTaG) wieder, dass von einem weiten Inklusionsbegriff ausgeht. Der grundsätzlich inklusive Anspruch an rheinland-pfälzische Kindertageseinrichtungen ist hier in § 1 Abs. 2 des KiTaG geregelt.

Kindertagesbetreuung soll danach allen Kindern entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten gleiche Entwicklungs- und Bildungschancen bieten, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer weltanschaulichen und religiösen Zugehörigkeit, einer Behinderung und der sozialen und ökonomischen Situation ihrer Familie.

Der inklusive Anspruch richtet sich dabei uneingeschränkt an alle Kindertageseinrichtungen und der Inklusionsbegriff ist weit gefasst, denn jedes Kind ist auf seine Art besonders. Inklusion meint daher nicht nur die Integration von Kindern mit behinderungsbedingten Mehrbedarfen, sondern die inklusive Haltung, dass alle Kinder und Fachkräfte auf ihre Art besonders sind und ihre Heterogenität sowie unterschiedliche Lebens- und Familiengeschichten zum Alltag einer Kindertageseinrichtung gehören.

Nach vorne gestreckte Kinderhände bilden einen Kreis

Individuelle Leistungen zur Teilhabe

Um sozialräumliche Besonderheiten aufzufangen und personell zu unterfüttern, werden nach § 25 Abs. 5 KiTaG entsprechende Mittel zugewiesen (Sozialraumbudget). Im Gegensatz zur Gewährung von individuellen Teilhabeleistungen dient das Sozialraumbudget der Überwindung struktureller Benachteiligungen und ermöglicht in entsprechend identifizierten Sozialräumen den Einsatz von Kita-Sozialarbeit, Kita-Netzwerkerinnen und -Netzwerker, Interkulturelle Fachkräfte oder sonstige Kräfte im Sozialraum. 

Um personelle Erfordernisse aufzufangen, die aufgrund eines behinderungsbedingten individuellen Teilhabebedarfs entstehen, steht die Eingliederungshilfe zur Verfügung. Das SGB IX ist die Basis, um einem Kind mit einer (drohenden) Behinderung die im Einzelfall erforderlichen individuellen Teilhabeleistungen zu gewähren. Nach § 4 Absatz 3 SGB IX sollen die Leistungen für Kinder mit (drohenden) Behinderungen so geplant und gestaltet werden, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit anderen Kindern ohne Behinderung betreut werden können. Nach § 75 Absatz 1 bzw. § 112 SGB IX sind zur Teilhabe an Bildung und nach § 76 bzw. § 113 SGB IX zur sozialen Teilhabe unterstützende Leistungen zu erbringen, die erforderlich sind, damit Kinder mit Behinderungen Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen können. Im Falle einer seelischen Behinderung greift § 35 a SGB VIII.

Bündelung der Zuständigkeit auf der kommunalen Ebene

Mit dem Landesgesetz zur Ausführung des BTHG (AGSGB IX) ist die Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen auf die Landkreise und kreisfreien Städte übergegangen. Die Übertragung der Zuständigkeit auf die kommunale Ebene hat den Vorteil, dass sowohl die Gesamtverantwortung für die Eingliederungshilfe als auch für die Jugendhilfe (Bedarfsplanung Kita) auf kommunaler Ebene zusammengeführt wurde. Das heißt ganz konkret, dass die Planung von erforderlichen Plätzen zur Erfüllung des vorhandenen Bedarfs auf der gleichen Ebene stattfindet, wie die Planung zur Sicherstellung der Teilhabe und der damit eventuell verbundenen zusätzlich erforderlichen Teilhabeleistungen. Die Träger der Eingliederungshilfe und die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind damit gefordert, ihre jeweiligen Planungen und Leistungen abzustimmen. Denkbar wird damit ein einheitlicher Ansatz, der es ermöglicht, durch das Zusammenwirken beider Systeme strukturelle Vorkehrungen für die Aufnahme von Kindern mit Behinderungen in Tageseinrichtungen zu treffen.

 

Inklusive Kinder- und Jugendhilfe als Ziel des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz

Rheinland-Pfalz hat mit der Verlagerungs der Zuständigkeit auf die kommunale Ebene eine gute Voraussetzung zur Ausgestaltung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe geschaffen, wie sie derzeit auf Bundesebene vorbereitet wird. Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das im Juni 2021 in Kraft getreten ist, wurden die Weichen für eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe gestellt. In mehreren Umsetzungsstufen sollen die Jugendämter ab dem 01.01.2028 auch für Leistungen für Kinder und Jugendliche mit körperlicher und geistiger Behinderung vorrangig zuständig sein. Das Nähere dieser Gesamtzuständigkeit, nämlich der leistungsberechtigte Personenkreis, die Art und der Umfang der Leistungen, die Kostenbeteiligung und das Verfahren, soll durch ein noch zu entwickelndes Bundesgesetz bestimmt werden (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII in der ab 1.1.2028 geltenden Fassung). Die Ergebnisse eines umfangreichen Beteiligungsprozesses bilden das Fundament für die Erarbeitung des Gesetzesentwurfs zur Ausgestaltung der Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe. Ausführliche Informationen und Stellungnahmen zur Ausgestaltung einer inklusiven Knder- und Jugendhilfe finden sich auf der Seite des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF)

 

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FAQs

Jedes Kind ist individuell einzigartig und doch gleich, jedes Kind hat die gleichen Rechte und die Rechte gelten ohne Ausnahme.

Inklusion bedeutet, die Unterschiedlichkeit von Menschen als Normalität zu sehen. Inklusion heißt Zugehörigkeit und ist das Gegenteil von Ausgrenzung. Alle Menschen sind in ihrer Unterschiedlichkeit Teil der Gesellschaft und stellen auf ihre je eigene Art und Weise eine Bereicherung dar.

In einem inklusiven Bildungssystem lernen alle Kinder gemeinsam; niemand wird ausgegrenzt. Dabei bekommt Heterogenität, die die Normalität in unserer Gesellschaft darstellt, höchste Wertschätzung. Heterogenität zeigt sich in unterschiedlichen Dimensionen z.B. Alter, Schicht/Milieu, Gender, sexuelle Orientierung, Behinderung, Religion etc. Menschen können und sollten nicht auf eine Dimension beschränkt werden, sondern sind in ihrer Individualität und Vielschichtigkeit zu sehen, die sich gerade bei Kindern ständig verändern kann. 

Das ist die Basis für Inklusion, die in Rheinland-Pfalz gelebt wird und auch in der frühkindlichen Bildung umgesetzt wird. Dabei ist der Inklusionsbegriff weit gefasst, denn jedes Kind ist auf seine Art besonders. Inklusion meint damit daher nicht nur die Integration von Kindern mit behinderungsbedingten Mehrbedarfen, sondern die inklusive Haltung, dass alle Kinder und Fachkräfte auf ihre Art besonders sind und ihre Heterogenität sowie unterschiedliche Lebens- und Familiengeschichten zum Alltag einer Kindertageseinrichtung gehören. 

Für Institutionen z. B. Tageseinrichtungen für Kinder heißt dies, dass nicht das Kind sich an die Institution anpassen muss, sondern die Einrichtung an das Kind. Die Institution entwickelt sich dahingehend, dass eine Aufnahme aller Kinder gut möglich ist. Bestehende Barrieren, die Kinder, Eltern oder pädagogische Fachkräfte daran hindern teilzuhaben, dabei zu sein oder mitzugestalten, werden erkannt und und nach Möglichkeit beseitigt.

Alle Kinder ab einem Jahr haben einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege (§ 24 SGB VIII). Dies gilt im Übrigen auch für aus dem Gesetz zur ganztägigen Förderung von Grundschulkindern resultierenden Rechtsansprüchen.

Wie ein Kind mit einer Beeinträchtigung gut in einer Tageseinrichtung für Kinder betreut werden kann, sollte gemeinsam vor Ort überlegt werden. Gemeinsam meint optimalerweise mit allen Beteiligten (Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Kitaträger, Kitaleitung, Eltern und ggf. weitere relevanten Personen wie z.B. Vertreterinnen oder Vertreter der Krankenkasse). Zur Feststellung eines behinderungsbedingten Teilhabebedarfes ist eine Diagnose erforderlich. Diese kann prinzipiell sowohl von Sozialpädiatrischen Zentren als auch von niedergelassenen Ärzten erstellt werden. Ob die Diagnose (Gutachten) von einem Sozialpädiatrischen Zentrum oder von niedergelassen Ärzten erstellt wird, ist im Rahmen der Einzelfallentscheidung zu klären. Ansprechpartner ist in jedem Fall der zuständige Träger der Eingliederungshilfe, also die kreisfreie Stadt oder der Landkreis. Das Kitateam ist für eine gute Betreuung darauf angewiesen, dass ein eventuell bestehender behinderungsbedingter Teilhabebedarf über die Eingliederungshilfe gewährt wird. Werden nur einzelne Stunden Unterstützungsleistungen gewährt, so ist davon auszugehen, dass den Rest des Tages die über das Kitagesetz gewährte Personalisierung ausreichend ist. Zudem sollen Verabredungen getroffen werden, wie der zusätzliche Teilhabebedarf von der Eingliederungshilfe sichergestellt werden kann, wenn zusätzlich gewährtes Personal z.B. aufgrund von Krankheit ausfällt. Darüber hinaus sollte das Kitateam über eventuelle behinderungsspezifische, betreuungsrelevante Besonderheiten informiert sein.  

Wie ist Behinderung definiert?

Es gibt verschiedene Definitionen zum Begriff „Behinderung“. Die Wichtigsten finden Sie nachfolgend:

Der Begriff der Behinderung findet sich an verschiedenen Stellen der Sozialgesetzbücher wieder. Er ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) gesetzlich definiert und gilt grundsätzlich für alle Bücher des Sozialgesetzbuches, es sei denn, der Behinderungsbegriff ist in einzelnen Büchern abweichend bestimmt. Demnach sind Menschen behindert, „[…]wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“

Das Sozialhilferecht als das primär für die Leistungserbringung in Frage kommende Rechtsgebiet knüpft an den Begriff der Behinderung im Sinne des SGB IX an. Für die Eingliederungshilfe nach SGB XII für Kinder mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen muss darüber hinaus das Merkmal der wesentlichen Teilhabebeeinträchtigung vorliegen. Der Begriff der seelischen Behinderung ist im § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) verankert und gilt als Grundlage der Leistungserbringung für Kinder mit seelischen Behinderungen. Auch das KiTaG greift an verschiedenen Stellen den Begriff der Behinderung auf. Mangels abweichender Regelungen gilt auch hier die Definition im SGB IX.

In der UN-Behindertenrechtskonvention ist der Behinderungsbegriff deutlich weiter gefasst. In §1 heißt es „ […] Zu den Menschen mit Behinderung zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Behinderung wird demnach nicht auf die beim Menschen bestehende Beeinträchtigung reduziert, sondern in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Barrieren gesehen.